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Sinnstiftende Verbindung von Kunst und Pädagogik

diskurs

Lassen sich die beiden Bereiche „Kunst“ und „Pädagogik“ sinnstiftend verbinden?

Im Geiste der griechischen Antike wird Kunst des Lehrens und Lernens umfassender verstanden – Vermittlung und Prägung mit sowie durch Kunst. Das bedeutet u. a. nebst fachlicher Kompetenz Persönlichkeitsbildung, Eigenverantwortung, vernetztes Denken, Lebens- und Spielfreude. Wie der zu höchsten Ehren aufgestiegene „Magister Ludi“ Josef Knecht in Hermann Hesses Glasperlenspiel dachte und handelte: Auch er will pädagogische Verantwortung im konkreten Leben – ausserhalb des geistigen Elfenbeinturms – übernehmen. Genauso erzählt der Sohn von Leonard Bernstein, wie sein Vater immer mit Leidenschaft gelernt und gelehrt hat.

Soeben fällt mir der Begriff „Standbein“ zu: Standbein als wunderbares Bild für zwei Hauptstützen, welche im Leben komplementär zusammenwirken und einander „geistig“ befruchten. Beide Beine müssen sowohl gut miteinander harmonieren als auch für sich allein stehen und agieren. Genauso wie die solistische ist auch die pädagogische Tätigkeit eine alles einfordernde Aufgabe und hohe Kunst – beides fordert sowohl Mensch wie Künstler. In Personalunion von Kunst und Pädagogik hat Liszt nach Aussen und Innen diese Verbindung von Konzerttätigkeit und Pädagogik gelebt – auf seinen Konzertreisen durch ganz Europa nachreisende Schüler unterrichtet. 

Inwiefern ist Liszt für Generationen von Pianisten noch heute nicht nur Vorbild als Mensch und Pädagoge, sondern auch als auswendig spielender Virtuose?

Liszts Spielpraxis wurzelt in der Philosophie eines romantischen Künstlerbildes und ist getragen von einer neuen Bedeutung des schöpferischen Aktes bezüglich Komponieren, Improvisieren oder Interpretieren. Dieser Trinität entspringt auch sein Auswendigspiel, welches Reflexion, genauestes „Hinschauen und Hinhören“ in die Partitur abverlangt, um ganz vom Notentext befreit zu musizieren. Es bildet bei einer Interpretation die Basis für eine Neuschöpfung aus dem Geist der eigenen Gegenwart und zusätzlich eine reale Voraussetzung, ohne Angst ganz aus sich heraus zu spielen. Werk und Solist werden damit spürbar zur inneren Einheit, kein Notenblatt liegt mehr dazwischen und die Übertragung zum Publikum kann umso überzeugender gelingen.

Eine Vorbereitung in dieser Qualität aber verlangt Zeit und Klarheit darüber, mit welchem Opus es sich lohnt, diesen langen, inneren Weg zu beschreiten sowie das Programm dramaturgisch sinnvoll zu gestalten. Es gibt Kompositionen, die verblassen relativ schnell, während andere den Interpreten ein Leben lang begleiten und immer wieder neu herausfordern. So hat Martha Argerich am ersten Klavierkonzert von Beethoven im Verlaufe ihres ganzen Lebens immer wieder gearbeitet, dabei Neues entdeckt und dank riesigem Zeithorizont das Opus eindrücklichst reifen lassen. Kein Geringerer als Goethe sagte adäquat dazu: „Die Leute wissen nicht, was es einen Zeit und Mühe kostet, um Lesen zu lernen. Ich habe 80 Jahre dazu gebraucht und kann noch nicht sagen, dass ich am Ziel wäre.“

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